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#2 IST DAS LEBEN
Ohne Schulen keine Zukunft
Ein Plädoyer gegen die Vernachlässigung durch die Politik
Von Stefan Düll, M.A., Oberstudiendirektor – Präsident des Deutschen Lehrerverbandes
Die Bildungslandschaft in Deutschland ist äußerst vielfältig und differenziert. Kindertagesstätten, Förderschulen, Grundschulen, weiterführende und berufliche Schulen, Fachhochschulen und Universitäten und darüber hinaus Institutionen, z. B. im Bereich der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung sowie der Erwachsenenbildung bauen aufeinander auf und ergänzen einander. Jeder Abschluss ermöglicht einen weiteren Anschluss, für jeden einzelnen Menschen gibt es je nach Lebens- und Bildungsphase die für ihn richtige Schule.
Das Schul- und Bildungswesen ist eine der wertvollsten Einrichtungen in unserem Land. Je besser die Erziehung und Bildung entsprechend den individuellen Anlagen, desto mehr Menschen sind in der Lage, ein selbständiges Leben mit kultureller Teilhabe zu führen und Verantwortung für die Gesellschaft und die anstehenden Herausforderungen zu übernehmen. Nicht umsonst heißt es, der Rohstoff Geist sei der einzig wesentliche Rohstoff unseres Landes und entscheide über dessen Zukunft. Darüber hinaus schaffen unsere Kitas und Schulen den Kit für unsere freiheitliche demokratische Gesellschaft mit einem hohen Maß an sozialem Frieden.
Die staatlichen Schulen als Kern der Schullandschaft sind der Garant für eine kostenfreie und gleichwertige Bildung. Angesichts dieser ungeheuren Bedeutung unserer Schulen für unsere Gesellschaft und für die Zukunft unseres Landes ist es mehr als verwunderlich, dass es im Bildungssystem an allen Ecken und Enden fehlt. An finanziellen Mitteln, an materieller Ausstattung, an personellen Ressourcen – und das nicht erst seit gestern. Eigentlich ist klar, dass jeder Euro, der in die Bildung investiert wird, für die entsprechenden Personen und die Gesellschaft ein Vielfaches an Rendite bringt; nicht nur in finanzieller, z. B. steuerlicher Hinsicht durch Personen, die durch bessere Bildung besser bezahlte Berufe ausüben, sondern auch als „Mehrwert“ für das gesellschaftliche Zusammenleben. Bildung zeigt Perspektiven auf – für die individuelle Lebensgestaltung und auf höherer Ebene für Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Wer Frieden und Demokratie will, muss Bildung säen.
Aber anstatt dafür zu sorgen, dass der Bildungsbereich von der frühkindlichen Bildung an ausreichend ausgestattet ist, geben sich Politik und Gesellschaft seit langem mit einem Mangelsystem zufrieden. Viele der Mängel werden von den Personen im System – den Erzieherinnen und Erziehern, den Lehrkräften, dem Leistungs- und dem Verwaltungspersonal – durch großes persönliches Engagement noch aufgefangen, aber auch das ist nicht unbegrenzt möglich. Der Mangel zeigt sich überall, und das teilweise schon seit Jahrzehnten.
» Jeder Euro, der in Bildung investiert wird, bringt ein Vielfaches an Rendite. «
Lehrkräfte leisten viel, aber können definitiv nicht alle Defizite beheben, auch wenn die Gesellschaft dies oft erwartet. Versäumnisse im Umwelt- und Klimaschutz, in der Gewaltprävention und im Demokratiebewusstsein, in der Gesundheitsfürsorge oder der Alltagskompetenz: Die Schule und ihre Lehrkräfte als Allround-Genies sollen es richten. Sie schütteln individuelles Glück und gegenseitige Achtsamkeit aus dem Ärmel, und wie man seine Steuererklärung oder einen Versicherungsvertrag ausfüllt, soll selbstverständlich auch ein Lernziel sein. Dabei haben wir schon jetzt eine einmalige Fächervielfalt, die mit fächerübergreifenden Unterrichtszielen unsere jungen Menschen die Kompetenzen, das Wissen, die Werte und die Haltungen vermitteln, die sie für ein erfolgreiches Leben ertüchtigen.
Lehrkräfte stellen sich auch bereitwillig den vielen Fragen, die ihre Schülerinnen und Schüler genauso bewegen wie die Gesellschaft. Die Erdbebenkatastrophe in Kleinasien, der Angriff Russlands auf die Ukraine oder das Massaker der Hamas und die israelische Reaktion darauf: Lehrkräfte diskutieren, informieren, klären auf. Lehrkräfte sind häufig auch die ersten Ansprechpersonen bei persönlichen Problemen – solchen in der Schule, aber auch bei solchen in der Familie oder im Freundeskreis. Sie widmen sich Kindern mit besonderem Förderbedarf im Sinne der Inklusion.
Aber der Einsatz hat seine Grenzen. Vieles ist wünschenswert, aber nicht leistbar, wenn die Klassen zu groß, die herausfordernden Kinder zu viele sind. Hier braucht es die Unterstützung der Kultusministerien durch Bereitstellung von Material und Fortbildungen, z. B. im Umgang mit Inklusion, Mobbing, Rassismus und Antisemitismus. Im Rahmen echter Erziehungspartnerschaft sind auch die Eltern gefordert, den Bildungsgang ihrer Kinder aktiv zu unterstützen. Aber auch die Gesellschaft ist gefordert. Die Vermittlung von demokratischen Werten und den Grundprinzipien des friedlichen Zusammenlebens muss in den Familien und allen gesellschaftlichen Institutionen, wie Sportvereinen, Musikschulen, Kinder- und Jugendclubs, religiösen Gemeinschaften, aber auch in Verbänden, Stiftungen und Unternehmen gelebt und gestärkt werden.
Flankierendes Personal in den Bereichen Schulpsychologie, Pädagogik, Schulbegleitung, Beratung, Jugendarbeit und Sozialarbeit muss an jeder Schule aktiv sein. Es unterstützt die pädagogische und unterrichtliche Arbeit der Kolleginnen und Kollegen. Sie bieten Entlastung, so dass Lehrkräfte sich auf ihre eigentliche Profession besinnen können: Unterricht, Projekte, Fahrten. Dann wächst auch bei vielen Teilzeitlehrkräften die Bereitschaft, das Stundenmaß aufzustocken. Den grassierenden Lehrkräftemangel kann das dann auch lindern.
Neben den personellen Ressourcen sind auch die sächlichen von Bedeutung für nachhaltige Bildungs- und Erziehungsarbeit. Doch viele Schulgebäude und die technische Infrastruktur entsprechen oftmals nicht dem Standard, den man für Deutschland erwarten sollte. Die KfW beziffert den Sanierungsstau für die Schulen auf rund 50 Milliarden Euro – Stand 2023; nächstes Jahr wird es schon wieder mehr sein und das nicht allein wegen der Inflation. Die Mängel reichen von beschmierten und bröckelnden Fassaden, heruntergekommenen Räumen, die von den Eltern gestrichen werden, von undichten Toiletten bis hin zu jahrelang gesperrten Turnhallen und Aulen.
» Neben den personellen Ressourcen sind auch die sächlichen von Bedeutung für nachhaltige Bildungs- und Erziehungsarbeit. «
Moderne Unterrichtsformen brauchen für den gewünschten zeitgemäßen Kompetenzerwerb – anders als im 19. Jahrhundert – Lernlandschaften als Mix aus klassischen Unterrichts- und Fachräumen einerseits sowie Marktplätzen, Fabrication Labratories, Ökolaboren und Digitallaboren andererseits. Im 21. Jahrhundert sollte im Sinne einer Smart School eine angemessene Temperaturregulierung – sowohl im Winter wie im Sommer –, Luftreinigung und Belüftung und zudem unterstützende Akustik eine Selbstverständlichkeit sein.
Auch die vielfach unzureichende digitale Infrastruktur ist ein Ärgernis. Wir wissen von den Lehrkräften unseres Verbandes, dass sie sich einen digital gestützten Unterricht wünschen, der auf dem technischen Niveau der Zeit funktioniert. Die Verwendung privat finanzierter Geräte kann nicht das digitale Rückgrat deutscher Bildung sein. ‘Plug and Play’ muss Standard werden; es kann nicht sein, dass Lehrkräfte regelmäßig selbst anpacken müssen, damit die Technik irgendwie funktioniert. Die Geräte- und Softwarebetreuung einer großen Schule entspricht schon aufgrund der Anzahl der Geräte dem Aufwand für ein mittelgroßes Unternehmen und ist nicht von den Informatik-Lehrkräften in einigen wenigen Anerkennungsstunden zu leisten.
Der Digitalpakt Schule sorgte in diesem Bereich dafür, dass zumindest etwas in Gang kam – er war ein erster wichtiger Schritt bei der staatlichen Digitalisierung der Schulen und finanzierte nun flächendeckend Hardware und schnellen Internetanschluss. Die Länder und die Sachaufwandsträger haben parallel in die IT-Administration und in Fortbildungsangebote investiert.
Allerdings verzögert der Bund vorsätzlich die nahtlose Anschlussfinanzierung in Form eines Digitalpakts Schule 2.0. Doch es darf keine Lücke in der Entwicklung und Finanzierung der Digitalen Ausstattung des Schulbereichs geben: Geräte müssen ausgetauscht, neue Fortbildungen finanziert werden ebenso wie eine IT-Administration, die vor Ort aktiv eingreift, um zeitnah Probleme zu lösen.
Foto: Andreas Gebert
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